M. Moosbrugger: Petrus Canisius

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Titel
Petrus Canisius. Wanderer zwischen den Welten


Autor(en)
Moosbrugger, Mathias
Erschienen
Innsbruck 2021: Tyrolia Verlag
Anzahl Seiten
288 S.
von
Daniel Sidler

Jeder und jede kennt Petrus Canisius. Diese Aussage, die – seinen Katechismen sei Dank – bis weit ins 20. Jahrhundert zumindest im katholischen Milieu Gültigkeit hatte, stimmt heute allenfalls noch für die akademische Welt, in der sich Theologinnen und Historiker seit Jahrzehnten der Erforschung des facettenreichen Lebens und Wirkens des ersten deutschsprachigen Jesuiten widmen. In der breiten Bevölkerung hingegen dürfte Canisius heute weitgehend unbekannt sein. Die Brücke zwischen Fachwissenschaft und historisch und/oder theologisch interessierter Öffentlichkeit schlägt nun der Innsbrucker Theologe und Historiker Mathias Moosbrugger mit seiner neuen «Biografie» über Canisius. Die Anführungszeichen sind keinesfalls zynisch gemeint, im Gegenteil: Moosbrugger selbst will sein Buch nicht als Biografie verstanden wissen, sondern als «eine biografische Skizze», die nicht den Anspruch erhebt, jedes Detail von Canisius’ Leben nachzuzeichnen, sondern den Jesuiten in wichtige Spannungsfelder seiner Zeit einzuordnen. Und genau darin liegt die Stärke dieses Buches: Es führt anhand von Canisius’ Leben und Persönlichkeit in grundlegende historische Prozesse und theologische Debatten des 16. Jahrhunderts ein, von der Reform des Katholizismus über die Ordensgeschichte der Gesellschaft Jesu bis zum Hexenglauben.
Dass sich Canisius für ein solches Unterfangen wie kaum ein zweiter eignet, steht ausser Frage. Der umtriebige Jesuit war zugleich Mystiker und Kontroverstheologe, verkehrte an Fürstenhöfen genauso wie in städtischen Jesuitenkollegien, wirkte auf dem Konzil von Trient und auf unzähligen Kanzeln im katholischen Europa – kurzum: Er war in geografischer, sozialer und kultureller Hinsicht ein «Wanderer zwischen den Welten», wie es im Untertitel des Buches passend heisst.
In fünf Kapiteln folgt Moosbrugger Canisius auf diesen «Wanderungen» in die verschiedenen Welten, die er bereits mit den Kapitelüberschriften («Zwischen x und y») als Bewegungen in Spannungsfeldern kennzeichnet. Auf ein erstes Kapitel, das ausgehend von je einem Portrait des jungen und des alten Canisius den zeitlichen und geografischen Rahmen anschaulich und prägnant absteckt, folgt ein Kapitel zur spirituellen Biografie, das Canisius zwischen dem Orden der Kartäuser, dem er sich in jungen Jahren nahe fühlte und der seine Spiritualität zeitlebens prägte, und jenem der Jesuiten – und damit zwischen mystischer Einkehr und religiösem Aktivismus – verortet. Als Wendepunkt zwischen den beiden Polen sieht Moosbrugger Canisius’ Begegnung mit Peter Faber im Frühjahr 1543, die für ihn geradezu ein jesuitisches Erweckungserlebnis war. Das dritte Kapitel nimmt zwei epochemachende Prozesse beziehungsweise Ereignisse in den Blick: die Neuausrichtung der Gesellschaft Jesu, die sich 1548 mit der Gründung des Kollegs in Medina zu einem Schulorden wandelte, und das Konzil von Trient, auf dem Canisius freilich bloss einen kurzen Auftritt hatte. Das «Dazwischen» kommt hier besonders überzeugend zum Tragen, etwa wenn die Gründungen der Jesuitenkollegien im Reich als Ringen zwischen dem Orden und weltlichen Mächten sowie zwischen den Jesuiten vor Ort und der römischen «Zentrale» beschrieben werden. Canisius’ umfangreichem schriftstellerischen Werk ist das vierte Kapitel gewidmet. Moosbrugger schildert Canisius als herausragenden Patrologen und schlechten Historiker – er scheiterte an der Widerlegung der Magdeburger Centurien – und würdigt ihn zu Recht als weitsichtigen Verfasser des Katechismus (respektive der verschiedenen Katechismen). Letzterer sei nicht nur im 16. Jahrhundert in seiner Anlage innovativ gewesen und durch seine weite Verbreitung wirkmächtig geworden. In der darin enthaltenen Anregung zur «persönliche[n] Auseinandersetzung mit den kirchlichen Lehr¬inhalten» (207) entdeckt Moosbrugger «Horizonte», die ihm auch aus heutiger theologischer Sicht bemerkenswert – um nicht zu sagen: aktuell – zu sein scheinen.
Nach diesen Glanzpunkten thematisiert der Autor im letzten Kapitel Canisius’ Leben als eines «mit katastrophalen Fehleinschätzungen und schlimmen Auswirkungen auf andere» (214), war Canisius doch auch Hexenprediger, Exorzist und – wie Moosbrugger exemplarisch aufzeigt – mitverantwortlich dafür, dass die junge Anna Jakobäa Fugger gegen ihren Willen ins Kloster kam. Indem er mit den Begriffen «Schuld» und «Sühne» operiert, verlässt Moosbrugger zwar nicht sein historisches Material, aber doch die herkömmlichen Analysekategorien des Frühneuzeithistorikers. Canisius sei etwa im Hexenglauben wohl ein «Kind seiner Zeit» gewesen, aber auch nicht darüber hinausgewachsen, obwohl er von den Ordensoberen mehrmals zur Mässigung aufgefordert wurde. Dennoch fasst der Autor, nun ganz Theologe, ein positives moralisches Gesamturteil über Canisius’ Leben. Dieser habe trotz der genannten Vorbehalte vor allem in Fragen der geistlichen Erneuerung einen «erstaunlich weiten Horizont» sowie eine «erstaunlich grosse Furchtlosigkeit» gehabt, sodass er «ein Leben leben [konnte], das sicher nicht in allem, aber doch in vielem überraschend richtig», ja «vielleicht sogar heilig» gewesen sei (248f.).
Letzteres mag aus geschichtswissenschaftlicher Sicht etwas befremdlich wirken, ist aber zweifellos dem Anlass des Buches, dem 500. Geburtstag des Innsbrucker Diözesanpatrons, geschuldet. Anlass und Anlage des Buches vermögen auch zu erklären, dass darin historische Prozesse wie die Rekatholisierung Augsburgs etwas gar stark auf die Rolle des Protagonisten fokussiert erzählt werden. Fraglich ist überdies, ob Canisius’ Umfeld tatsächlich fast ausschliesslich aus Fürsten und «Startheologen» – als solche werden im Buch mehrere Nebendarsteller tituliert – bestand, wie dies die Bildauswahl suggeriert. Es ist zweifellos Geschmacksache, ob einer breiten Öffentlichkeit historische Inhalte mit teilweise kühnen begrifflichen Zuspitzungen (z. B. ein «Jesuit von echtem Schrot und Korn», 112) verständlich gemacht werden sollen. Ausser Frage steht hingegen, dass Moosbrugger nicht nur theologisch und kirchengeschichtlich versiert argumentiert, sondern auch das Genre der für eine breite Öffentlichkeit bestimmten historischen Biografie beherrscht. In geschicktem Wechsel von quellennahen und kontextualisierenden Passagen, mit einem Sinn für Dramaturgie und Stilmittel (Cliffhanger inklusive) gelingt ihm eine vielfältige Einführung in Canisius’ Leben und Wirken und ins spannungsreiche 16. Jahrhundert, die hoffentlich nicht nur ein historisch und theologisch interessiertes breites Publikum mit Gewinn und Vergnügen lesen wird, sondern in dem auch Historikerinnen und Theologen Petrus Canisius (wieder) entdecken können.

Zitierweise:
Sidler, Daniel: Rezension zu: Moosbrugger, Mathias: Petrus Canisius. Wanderer zwischen den Welten. Innsbruck/Wien 2021. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 115, 2021, S. 436-437. Online: <https://doi.org/10.24894/2673-3641.00100>

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